Barnabás Bosshart
Die schwarz-weiß Aufnahmen des gebürtigen Ostschweizers dokumentieren vor allem eines: Das
Interesse Barnabás Bossharts am Menschen, an seiner Schönheit, seiner Lebenslust, seiner Eigenart.
Es sind Schnappschüsse, die ihr Motiv nicht aus dem Hinterhalt überraschen, sondern Ergebnis einer
Beziehung zwischen Fotograf und sich (dar)stellendem Menschen sind. Dazu gehört eine gemeinsame
Sprache, eine Vertrautheit, die sich nur durch miteinander verbrachte Zeit einstellt. Der einstige
Fotograf der Models und Bohémiens Londons lebte mehrere Jahre in Alcântara, einer ehemaligen
portugiesischen Sklavenstadt in der Nähe von Sao Luis, Brasilien. Erst die Bedrohung dieser
magischen Welt aus träumerischer Vorzeit entfacht den Wunsch nach Bannung auf Zelluloid: Ein
Weltraum-Raketen-Bahnhof mit Abschußrampen und Flugpiste, mit Elektrizität und Supermarkt soll im
Gemeindegebiet entstehen. Die afro-brasilianische Bevölkerung wird unmittelbar Zeugin und Betroffene
dieser Beschleunigung, die das Dorf ins Technologiezeitalter katapultiert, den Fischer und Handwerker
arbeitslos macht und einen lärmenden Dieselmotor als Garant für Licht mitten auf den Dorfplatz stellt.
Eindringlich und offen blicken die Augen der Dorbewohner in die Kamera, in lässiger Haltung, jede Linie
des Gesichts und der Hände offengelegt. Die ruhige Selbstverständlichkeit, der weite Raum der Zimmer, die
Anmut der Bewegungen lassen die Gefährdetheit dieses Lebens fast ganz vergessen. Radikal verändert sich
Bossharts Blick von außen in dem Versuch, das „ganz andere Brasilien", die Armenviertel Rio de Janeiros
zu fassen. Wieder gehen lange Recherchen und Annäherungen an das Milieu voraus. Doch diesmal ist es eine
andere Art der Bedrohung: Der Fotograf wird selbst in einen Totentanz um Liebe, Sexualität und Tod
hineingezogen. Liegende Körper signalisieren nicht Ruhe, sondern Erschöpfung oder Gewalt. Jedes der
Bilder, seien es die in Trance versetzten Tänzer, die Prostituierten, die Mordopfer oder die mächtigen
Drogenhändler, wirkt wie ein vorbeizuckender Karnevalszug. Die Dokumentation erreicht hier ihre Grenzen:
Musik, Geruch, Tanz, der Wirbel von Papierfetzen und Gliedern, das Starren toter Augen können nicht gebannt
werden. Die Linse der Kamera kann hier keine Distanz schaffen, der vertraute und vertrauende Beobachter wird
zum Kriegsfotograf.
- 1947 geboren in Herisau, Appenzell
- 1963-67 Kunst- und Fotostudium an der Kunstgewerbeschule Zürich
- 1967-68 Assistenz beim amerikanischen Mode-Star-Fotografen Bill King, London, NY
- 1969-75 freischaffender Modefotograf u.a. für Harper‘s Bazaar, Vogue, London
- 1977-80 Experimentalfilm-Studium an der St. Martin‘s School of Art, London
- 1978 Dozent für Fotografie an der University of Alberta, Edmonton, Kanada
- 1980-87 Fotoprojekt Alcântara, Brasilien
- 1991-93 Fotoprojekt Rio de Janeiro, Brasilien
- 1997-98 Fotoprojekt Thurgau, Schweiz
- seit 1973 regelmäßige Aufenthalte in Brasilien, Lateinamerika, Asien, Afrika und Europa
- lebt in Alcântara, Brasilien und in CH-8360 Eschlikon,
Weidstrasse 1, Tel.: (0041) 71/ 923-3077
Ausstellungen
- 1993 Museu Vela Ligornetto Schweiz (Doppelausstellung mit Wu Yinxian)
- 1994 „Rio Exposto", Akzente Galerie, München
- 1995 Kunstmuseum des Kantons Thurgau, Kartause Ittingen (mit Elza Lima)
- 1997 Nikon Image House Küsnacht, Schweiz
- 1998/99 Kunstmuseum des Kantons Thurgau, Kartause Ittingen (Warth)
Literatur
- „Alcântara, eine Stadt in Brasilien zwischen kolonialer Erinnerung und
Raketenträumen", 70 s/w Reproduktionen, mit Texten von Hugo Loetscher,
Josué Montello u.a., Edition Stemmle, Schaffhausen, Zürich, Düsseldorf,
Frankfurt a.M., 1989
- „Nahe Blicke mit fremden Augen", 20 s/w Reproduktionen, mit einem Text
von Markus Landert, hg.v. Kunstmuseum des Kantons Thurgau, Kartause Ittingen, 1995
- „Nordnordost", hg.v. Huber & Co. AG Frauenfeld/ Kunstmuseum des Kantons Thurgau, Schweiz, 1998
- „Rio Exposto", (in Vorbereitung)
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